Philippe Merz
Philippe Merz
Philosoph
Position: Gründungsmitglied | Dozent
Seminare
Die heutige hochtechnisierte Medizin verlängert und verbessert das Leben von Millionen Menschen. Zugleich bringt sie jedoch neue Herausforderungen mit sich, die sowohl individuelles als auch gesellschaftliches Konfliktpotenzial entfalten. Das liegt insbesondere daran, dass diese Herausforderungen unser Verständnis von „Selbstbestimmung“, „Gerechtigkeit“ und einem „guten Leben“, aber auch das berufliche Selbstverständnis vieler Ärzte zutiefst betreffen.
Im Seminar legen wir unseren Schwerpunkt auf zwei besonders brisante medizinethische Entwicklungen der vergangenen Jahre, nämlich auf die Herausforderungen der Transplantationsmedizin sowie die zunehmende Ökonomisierung des Gesundheitswesens.
Wir werden somit zunächst untersuchen, welche Organe auf welche Weise gegenwärtig transplantiert werden können, wie deren Vergabe europaweit organisiert ist – und anhand welcher Kriterien diese Vergabe entschieden wird. Denn hierbei entsteht nicht nur Missbrauchspotenzial, sondern es konkurrieren auch unterschiedliche Gerechtigkeitsmodelle miteinander, wodurch verschiedene neue drängende Fragen entstehen.
Im zweiten Teil des Seminars widmen wir uns der zunehmenden Regulierung des Gesundheitswesens nach den Kriterien von Wettbewerb und Effizienzsteigerung. Problematisch ist diese Entwicklung zum einen, weil sie von den Leistungsanreizen für Patienten und Ärzte bis zu den Zielen von Krankenhäusern und Krankenkassen mittlerweile alle Ebenen des Gesundheitswesens umfasst. Zum anderen ist diese Entwicklung problematisch, weil damit neue, teils schwerwiegende Zielkonflikte im Spannungsfeld von ärztlichem Berufsethos, Patientenwohl, Pharmaindustrie, Krankenhäusern und Krankenkassen entstehen. Kann ein Patient beispielsweise noch vollends auf die Empfehlung eines Arztes vertrauen, der Bonuszahlungen für bestimmte Diagnosen oder Therapien erhält? Können wir erwarten, dass Krankenhäuser, die von börsennotierten Kapitalgesellschaften geführt werden, ihr Handeln primär in den Dienst der Patienten stellen? Ist Patienten und auch Ärzten mit der Umstellung des Abrechnungsverfahrens auf das DRG-System (diagnosis related groups) tatsächlich gedient?
Am letzten Seminartag besteht dann die Möglichkeit, entweder eine Facette dieser beiden Themengebiete weiter zu vertiefen oder auch ein weiteres Feld der Medizinethik zu bearbeiten – wie etwa Sterbebegleitung oder Präimplantationsdiagnostik (PID). Dies überlassen wir den Interesseschwerpunkten der Teilnehmer und freuen uns schon jetzt auf ein diskussions- und erkenntnisreiches Seminar.
Die Geschichte der Medizin ist zugleich eine Geschichte faszinierender technischer und therapeutischer Fortschritte – zumindest insofern, als so die Handlungsreichweite von Ärzten und Therapeuten erheblich erweitert wurde. Viele dieser Entwicklungen verlängern unser Leben oder verbessern unsere Lebensqualität im Krankheitsfall erheblich. Allerdings werden sie auch von unausweichlichen Schatten verfolgt, und manche dieser Schatten entstehen sogar erst durch die medizinisch-technischen Entwicklungen der vergangenen Jahrzehnte.
Zu diesen unausweichlichen Schattenseiten zählen die Fragen, ob bestimmten Paaren die Präimplantationsdiagnostik (PID) gestattet sein sollte, ob Ärzte ihre Patienten auf Verlangen töten oder sie zumindest beim Sterben unterstützen dürfen, aber auch, nach welchen Kriterien Spenderorgane vergeben werden und wie wir die Einhaltung dieser Kriterien gewährleisten können. In diesen Fällen kollidieren bestimmte Wertvorstellungen und Weltanschauungen mit den Selbstbestimmungsansprüchen von Betroffenen oder den möglichen Rechten von ungeborenem Leben. In anderen Fällen kollidieren zudem die Wünsche der Betroffenen mit den hohen Kosten medizinischer Verfahren und den begrenzten Mitteln der Krankenkassen und Krankenhäuser. – Wie weit können die Selbstbestimmungsrechte des Einzelnen hier reichen, und wie lassen sich die knappen Mittel im Gesundheitswesen auf gerechte Weise verteilen? Welche Rolle spielen moralische Pflichten, soziale Nützlichkeitserwägungen und individuelle Tugenden in diesen schwierigen Situationen? Und welche Argumentationsstrategien führen zu welchen Ergebnissen?
In unserem Seminar werden wir die Kernprobleme der PID, der Transplantationsmedizin und der medizinischen Ökonomie anhand prominenter Beispiele und Positionen diskutieren. Auf diese Weise erfahren die Teilnehmer nicht nur etwas über die Grundfiguren des ethischen Argumentierens, sondern erwerben sich auch medizinisches, philosophisches und rechtliches Grundlagenwissen.
Das Seminar wird geleitet vom medizinisch interessierten Philosophen Philippe Merz und dem ethisch versierten Humanmediziner Florian Ludwig.
Nur wenige Diskussionen haben die Menschen in den letzten Jahren so sehr zu privaten, öffentlichen und wissenschaftlichen Stellungnahmen herausgefordert wie die Frage, ob bestimmten Paaren die Präimplantationsdiagnostik (PID) erlaubt sein sollte, in welchem Maß die Sterbebegleitung legal sein sollte, nach welchen Kriterien Organspenden vergeben werden dürfen oder wie die knappen Gelder im Gesundheitswesen verteilt werden sollen.
Die Brisanz derartiger medizinethischer Probleme speist sich nicht nur aus einem verbreiteten Unbehagen gegenüber der hochtechnisierten Medizin, sondern auch daraus, dass diese Probleme uns alle zutiefst persönlich betreffen. Sie fordern uns heraus zu sagen, wie wir leben und wie wir sterben wollen. Sie nötigen uns aber auch dazu, diese Fragen für andere Menschen mit zu beantworten – Menschen mit ganz eigenen Lebensentwürfen, spezifischen moralischen Überzeugungen oder besonderen Krankheitsdiagnosen.
In unserem Seminar werden wir versuchen, die oft hitzigen Debatten hierüber mit kühlem Kopf zu analysieren und die argumentativ überzeugendsten Antworten zu ermitteln. Dafür werden wir uns zunächst das begriffliche Rüstzeug erarbeiten, um die wichtigsten medizinethischen Argumentationsstrategien besser entschlüsseln und einordnen zu können. Wir werden etwa untersuchen, welchen Stellenwert der Begriff der Menschenwürde in der Medizinethik einnehmen kann, was es bedeutet, "deontologisch", "konsequenzialistisch" oder "tugendethisch" zu argumentieren, und welche Folgen sich aus diesen unterschiedlichen Theorietypen für konkrete medizinethische Probleme ergeben.
Somit stehen die theoretischen Auftaktüberlegungen von Beginn an in enger Verbindung mit den praktischen Herausforderungen, auf die wir uns im Seminar konzentrieren wollen: den Herausfoderungen der Eugenik, der Sterbebegleitung, der Transplantationsmedizin und der medizinischen Ökonomie. Hierfür werden wir sowohl mit einflussreichen Fachaufsätzen, Zeitungsartikeln, Gesetzestexten und ärztlichen Kodizes arbeiten als auch mit konkreten Fallbeispielen aus dem ärztlichen Alltag. Auf diese Weise bleiben die Diskussionen nicht nur anwendungsnah, sondern erlauben auch den Blick auf die schwierige Frage, ob es für die ungeheure Vielfalt klinischer Fälle überhaupt eine allgemeinverbindliche Weise des richtigen medizinethischen Handelns geben kann – oder ob nicht eine Pluralität von Entscheidungskriterien angemessener erscheint. Dann aber stellt sich wiederum die Frage, ob solch einer Pluralität nicht auch eine gewisse Beliebigkeit unserer ethischen Kriterien und Normen zur Folge hat. Wie steht es in diesem Zusammenhang mit denjenigen Positionen, die eine solche Beliebigkeit durch den Rückgriff auf eine religiöse Morallehre einzudämmen versuchen? Und was folgt aus den möglichen Antworten auf diese Fragen für das Selbstverständnis von Ärzten und Pflegern sowie für das Leben jedes einzelnen Bürgers?
Das Seminar wird geleitet vom medizinisch interessierten Philosophen Philippe Merz und dem ethisch versierten Humanmediziner Florian Ludwig. Neben ausgewählten medizinethischen Texten, die wir rechtzeitig vorab zur Verfügung stellen, wird die Diskussion von Fallbeispielen im Zentrum der gemeinsamen Arbeit stehen. Das Seminar richtet sich an all diejenigen, die Medizin oder Philosophie studieren möchten, aber ebenso an all diejenigen, die sich die Möglichkeiten medizinethischen Argumentierens unvoreingenommen erschließen möchten.
So vertraut uns die Begriffe Recht und Gerechtigkeit auch sein mögen, so schwer scheint es doch, sie genau zu fassen. Nicht nur das wachsende Gewirr geltenden Rechts scheint undurchsichtig, sondern auch der Begriff des Rechts selbst führt schnell zur Verwirrung. Ist Recht die Gesamtheit der Gesetze, also mit dieser gleichzusetzen, oder gibt es ein Recht außerhalb der Gesetze? Wenn ja, in welchem Verhältnis stehen Recht und Gesetz dann zueinander? Wie können wir einen Maßstab gewinnen, welchen Gesetzen wir folgen müssen und welchen nicht? Oder gibt es eine Pflicht, jedem Gesetz zu folgen, nur weil es gilt, auch wenn es uns als Unrecht scheint oder gar von einem ungerechten Herrscher oder Unrechtsstaat erlassen wurde? Gibt es ein Recht auf Widerstand gegen solche Gesetze oder sogar eine Pflicht, sich dem ungerechten Gesetzgeber zu widersetzen?
Ist Recht das Mittel, um Gerechtigkeit herzustellen oder nur notwendiges Übel, um an Stelle eines Krieges Aller gegen Alle ein Gemeinwesen, einen Staat zu ermöglichen?
Im Seminar wollen wir diese Fragen von zwei Gesichtspunkten aus betrachten. Im ersten Teil des Seminares sollen anhand klassischer und zeitgenössischer Text einige maßgebende Positionen in der Geschichte der Rechtstheorie erarbeitet werden, um so die Begriffe Recht und Gerechtigkeit aufzuklären.
Dazu werden wir uns zunächst anhand kurzer Textabschnitte aus den Werken Aristoteles‘ und Ulpians mit den Grundlagen des modernen Rechts in der Antike befassen, wobei wir Platon als scharfen Kritiker und radikalen Verfechter von positivem Recht zu Sprache kommen lassen. Im zweiten Schritt werden wir uns mit der sogenannten Naturrechtsdebatte befassen, das heißt, der Frage nachgehen, ob sich Recht allein aus geltenden Gesetzen ableiten läßt oder ob es vielmehr idealistischer Voraussetzungen wie Freiheit und Moral bedarf. Insbesondere den Zusammenhang von Recht, Moral und Freiheit wollen wir diskutieren. Hierzu werden wir Textausschnitt aus den Werken Hobbes, Kants, Hegels und Kelsens lesen. Drittens werden wir uns mit der Spannung von Recht und Gerechtigkeit befassen, wobei wir Texte von Radbruch und Rawls behandeln werden.
Im zweiten Teil des Seminares werden wir eine Brücke zur Praxis schlagen, indem wir die theoretischen Fragen am Beispiel des deutschen Grundgesetzes und anhand maßgebender deutscher Rechtsprechung prüfen.