Ethik in der Medizin: Wollen wir alles, was wir können?

Ethik in der Medizin: Wollen wir alles, was wir können?

Seminar zur praktischen Philosophie und Humanmedizin

Nur wenige Diskussionen haben die Menschen in den letzten Jahren so sehr zu privaten, öffentlichen und wissenschaftlichen Stellungnahmen herausgefordert wie die Frage, ob bestimmten Paaren die Präimplantationsdiagnostik (PID) erlaubt sein sollte, in welchem Maß die Sterbebegleitung legal sein sollte, nach welchen Kriterien Organspenden vergeben werden dürfen oder wie die knappen Gelder im Gesundheitswesen verteilt werden sollen.

Die Brisanz derartiger medizinethischer Probleme speist sich nicht nur aus einem verbreiteten Unbehagen gegenüber der hochtechnisierten Medizin, sondern auch daraus, dass diese Probleme uns alle zutiefst persönlich betreffen. Sie fordern uns heraus zu sagen, wie wir leben und wie wir sterben wollen. Sie nötigen uns aber auch dazu, diese Fragen für andere Menschen mit zu beantworten – Menschen mit ganz eigenen Lebensentwürfen, spezifischen moralischen Überzeugungen oder besonderen Krankheitsdiagnosen.

In unserem Seminar werden wir versuchen, die oft hitzigen Debatten hierüber mit kühlem Kopf zu analysieren und die argumentativ überzeugendsten Antworten zu ermitteln. Dafür werden wir uns zunächst das begriffliche Rüstzeug erarbeiten, um die wichtigsten medizinethischen Argumentationsstrategien besser entschlüsseln und einordnen zu können. Wir werden etwa untersuchen, welchen Stellenwert der Begriff der Menschenwürde in der Medizinethik einnehmen kann, was es bedeutet, "deontologisch", "konsequenzialistisch" oder "tugendethisch" zu argumentieren, und welche Folgen sich aus diesen unterschiedlichen Theorietypen für konkrete medizinethische Probleme ergeben.

Somit stehen die theoretischen Auftaktüberlegungen von Beginn an in enger Verbindung mit den praktischen Herausforderungen, auf die wir uns im Seminar konzentrieren wollen: den Herausfoderungen der Eugenik, der Sterbebegleitung, der Transplantationsmedizin und der medizinischen Ökonomie. Hierfür werden wir sowohl mit einflussreichen Fachaufsätzen, Zeitungsartikeln, Gesetzestexten und ärztlichen Kodizes arbeiten als auch mit konkreten Fallbeispielen aus dem ärztlichen Alltag. Auf diese Weise bleiben die Diskussionen nicht nur anwendungsnah, sondern erlauben auch den Blick auf die schwierige Frage, ob es für die ungeheure Vielfalt klinischer Fälle überhaupt eine allgemeinverbindliche Weise des richtigen medizinethischen Handelns geben kann – oder ob nicht eine Pluralität von Entscheidungskriterien angemessener erscheint. Dann aber stellt sich wiederum die Frage, ob solch einer Pluralität nicht auch eine gewisse Beliebigkeit unserer ethischen Kriterien und Normen zur Folge hat. Wie steht es in diesem Zusammenhang mit denjenigen Positionen, die eine solche Beliebigkeit durch den Rückgriff auf eine religiöse Morallehre einzudämmen versuchen? Und was folgt aus den möglichen Antworten auf diese Fragen für das Selbstverständnis von Ärzten und Pflegern sowie für das Leben jedes einzelnen Bürgers?

Das Seminar wird geleitet vom medizinisch interessierten Philosophen Philippe Merz und dem ethisch versierten Humanmediziner Florian Ludwig. Neben ausgewählten medizinethischen Texten, die wir rechtzeitig vorab zur Verfügung stellen, wird die Diskussion von Fallbeispielen im Zentrum der gemeinsamen Arbeit stehen. Das Seminar richtet sich an all diejenigen, die Medizin oder Philosophie studieren möchten, aber ebenso an all diejenigen, die sich die Möglichkeiten medizinethischen Argumentierens unvoreingenommen erschließen möchten.