Wozu Bildung?

Wozu Bildung?

Seminar zu Philosophie und Literatur

Es sei der »Zweck des Menschen«, »sich zu bilden«, schreibt Wilhelm von Humboldt. Unsere Tätigkeiten seien daher nie »Mittel« der bloßen Ausbildung, sondern lebendige Selbstentfaltung. In solch starken Worten drückt sich das Bildungsideal einer ganzen Epoche aus. Und noch im letzten Jahrhundert schrieb der amerikanische Philosoph John Dewey, daß Bildung nicht Vorbereitung auf das Leben sei, sondern vielmehr »das Leben selbst«. Doch findet sich dieses Bildungsideal überhaupt noch in heutigen Debatten? »Bildungsreformen«, »Bildungschancen« und »digitale Bildung« sind zwar in aller Munde, jedoch meint Bildung hier meist die Vermittlung zweckdienlicher Kenntnisse und Fähigkeiten, die der Ausübung eines Berufs oder der Vorbereitung auf die Berufsfelder der Zukunft dienen sollen. Aber was genau heißt »Bildung«? Wozu dient sie wirklich? Vertieft sie unsere Welt- und Selbsterkenntnis? Macht sie bessere Menschen aus uns? Befähigt sie uns zur Autonomie? Bereichert sie unsere Gesellschaft? Oder hilft sie uns bloß dabei, uns selbst zu bereichern?

Unsere Bildungseinrichtungen konzentrieren sich heute in erster Linie auf Ausbildung, also auf die Vermittlung von Kenntnissen und Fertigkeiten, die auf ein künftiges Berufsleben vorbereiten sollen. Doch auch wenn alte Bildungsideale in heutigen Debatten oft vergessen scheinen, bestimmen sie durchaus noch den Geist unser Universitäten, unser Bibliotheken, unserer Volkshochschulen und unserer Theater. Bereits in der Antike zeigte sich in der Kritik an den sophistischen Privatlehrern ein Bildungsbegriff, der sich von zweckorientierter Erziehung abgrenzt und stattdessen die freie Entfaltung geistiger Anlagen zum Selbstzweck erhebt. Platons philosophische Dialoge präsentieren mit Sokrates einen Lehrer, der nicht bloß Wissen an seine Schüler vermittelt, sondern der ihnen gleich einer Hebamme hervorzuholen hilft, was sie bereits in sich tragen. Mit Platons Sokrates wird Bildung philosophisch betrachtet zur Aufklärung. Und eine lange Tradition – von der Antike über das Mittelalter und die Renaissance bis hinein in unser digitales Zeitalter – hat dieses Ideal immer aufs Neue aufgerufen, vergessen, abgewandelt und kritisiert.

Das Seminar macht es sich zur Aufgabe, durch die Lektüre klassischer und zeitgenössischer Texte den Bildungsbegriff aus zwei Perspektiven zu beleuchten. Zum einen werden wir die Zwiespältigkeit des Bildungsbegriffes zwischen Selbstzweck und bloßem Mittel aus philosophischer Perspektive verhandeln. Zum anderen soll Bildung als Motiv in Literatur und Kunst untersucht werden. Im Dialog zwischen klassischen Vorstellungen und modernen Anforderungen können die Teilnehmer ihren eigenen Bildungsweg im Übergang von der Schule zum Studium kritisch überdenken um ihn innerhalb einer sich verändernden Welt selbstbestimmt gestalten zu können. Somit richtet sich das Seminar zum einen an Liebhaber der Literatur, Ästhetik und philosophischen Pädagogik, zum anderen aber auch an all diejenigen, die sich grundlegend mit der Frage auseinandersetzen wollen, was genau es bedeutet, sich zu bilden.