Der ‚homo oeconomicus’ in der Krise?

Der ‚homo oeconomicus’ in der Krise?

Seminar zu Philosophie und Ökonomie

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Der homo oeconomicus polarisiert. Er ist ein Reizbegriff, der gerne in politischen Talk-Shows, in der Presse und in Alltagsdiskussionen verwendet und instrumentalisiert wird. Das mit ihm verbundene Profitstreben wird verantwortlich gemacht für die Schattenseiten der Globalisierung und die negativen Auswüchse des Finanzsystems.  Warum also gründet sich die Ökonomie als Wissenschaft auf dieses Menschenbild, um mit ihm Entscheidungen zu modellieren, wie wir sie täglich fällen, wenn wir einkaufen, unsere Zeit organisieren oder wählen gehen?

Um das Spannungsverhältnis zwischen Alltagsurteil und wissenschaftlicher Methode zu verstehen, wollen wir das Konzept des homo oeconomicus gezielt hinterfragen. Dazu werden wir uns auf der einen Seite ein vertieftes Verständnis der Relevanz dieses Konzeptes innerhalb der Wirtschaftswissenschaft erarbeiten. Sie versteht unter dem homo oeconomicus einen rationalen Agenten, der strikt nach seinem Eigeninteresse handelt, wobei seine Handlungen sich nicht logisch widersprechen. Doch wie nützlich ist diese „strategisch simplifizierte“ Vorstellung eines rationalen Entscheiders  tatsächlich, um ökonomisches Verhalten zu erklären oder gar vorauszusagen? Um diese Frage zu beantworten, werden wir uns sowohl mit klassischen theoretischen Weiterentwicklungen (etwa der Umgang des rationalen Entscheiders mit Unsicherheit) beschäftigen, als auch empirisch beobachtbare Verhaltensweisen (z.B. altruistische Handlungen) diskutieren, die mit dem Instrumentarium des rationalen Entscheidens nicht erklärbar sind. Hierbei werden wir uns mit den zentralen Aussagen der noch jungen Verhaltensökonomie beschäftigen, die von begrenzt rationalen Akteuren ausgeht (bounded rationality).

Auf der anderen Seite sollen die philosophischen Implikationen des homo oeconomicus untersucht werden, indem zunächst der Frage nachgegangen wird, was für eine Rationalität mit dem ökonomischen Gedanken der Nutzenmaximierung eigentlich gemeint ist. Dafür werden wir die Ursprünge dieses Menschenbildes bei Autoren wie Adam Smith und John Stuart Mill nachvollziehen, um es dann anhand exemplarischer Texte von Max Weber bis hin zu John Rawls mit anderen Rationalitätskonzepten zu vergleichen. Anschließend gilt es zu hinterfragen, was es genauer bedeutet, sich für etwas zu entscheiden. Dies soll durch Texte von Aristoteles bis hin zu solchen moderner Autoren der Handlungs- und Spieltheorie konkretisiert werden, um von dort diskutieren zu können, ob der homo oeconomicus tatsächlich nur ein Analysewerkzeug darstellt, oder doch normative Implikationen enthält.

Ziel des Seminars wawr es, durch die gemeinsame Diskussion dieser Fragen einen Einblick in die verschiedenen Herangehensweisen der Wirtschaftswissenschaften und der Philosophie zu vermitteln. Es wurde geleitet von Sören Radde als philosophisch interessiertem Ökonom und Max Winter als Philosoph, richtete sich aber nicht nur an Teilnehmer mit ausgeprägtem Interesse an beiden Fächern oder der politischen Theorie, sondern ebenso an alle, die sich für die gesellschaftliche Relevanz der Frage begeistern können. Wir möchten dabei nicht so sehr die Vermittlung eines fertigen Stoffes, sondern die gezielte Diskussion anhand zentraler Texte, Argumente und Experimente in den Mittelpunkt stellen.